„Ja, die passen zueinander, die Häuser und die Menschen.“ (Richard Riemerschmid)
Hans-Jürgen Sarfert: „Hellerau. Die Gartenstadt und Künstlerkolonie“ Rezension von Petra Metzelthin
Namen, Namen, Namen. Beziehungsgeflechte, Interaktionen, die weit über die Gartenstadt Hellerau hinausgehen, aber immer im Zusammenhang mit ihr stehen.

Das vorliegende Sachbuch beschreibt detailgenau Entstehung und Entwicklung der Gartenstadt Hellerau von der Gründung 1909 bis hin in die Gegenwart, wobei die Jahre bis 1945 den Hauptteil einnehmen. 1907 entwarf Richard Riemerschmid das Gebäudeensemble der Deutschen Werkstätten in Form einer Schraubzwinge, im Jahr 1909 wurde der Grundstein in Hellerau und damit zugleich für die Gartenstadt Hellerau gelegt. Die Inbetriebnahme der Produktionshalle erfolgte 1910.
Wichtige Persönlichkeiten in Architektur, Literatur, Musik, Kunst und bildende Kunst mit Liebe zur Natur formten nach und nach Hellerau zu einer Stadt mit besonderem einzigartigem Flair. Das Buch zeugt von gründlicher und fleißiger Recherchearbeit.
Kleine Episoden unterbrechen die manchmal etwas ermüdenden Aufzählungen von Personen und Orten. Gleich am Anfang lernen wir den 71jährigen Peter de Mendelssohn kennen, der 1974 das Elternhaus und die Stätte seiner Kindheit in Hellerau besucht und sich dabei an besondere Menschen erinnert, die dort weilten, z.B. Shaw, Rilke, Werfel, Kafka, Felixmüller, Kokoschka, Hasenclever u.a. Wir erfahren, wie der „Holz-Goethe“, so wurde einer der Gründer von Hellerau, Karl Schmidt, genannt, per Fahrrad die Umgebung von Dresden nach einem geeigneten Standort für eine Fabrikanlage absuchte. Franz Kafka fand vom 28. Bis 30. Juni 1914, in der Zeit seiner ersten Verlobung mit Felice Bauer, Unterkunft beim Lehrer Kurt Thomas, als er auf der Suche nach (Hellerauer) Möbeln für eine gemeinsame Wohnung war und weiter erfahren wir von der Spazierlust Paul Adlers in hellen Nächten.
Wolf Dohrn ((1878-1914), „Organisator für die Kunst“ (Friedrich Naumann) und Verbreiter „weitgespannter Kulturträume“ verunglückte mit 36 Jahren tödlich – damit stand eine drängende und fördernde Persönlichkeit für die Idee Hellerau nicht mehr zur Verfügung. Ein Kapitel ist der schwierigen Nachfolge gewidmet, die der sieben Jahre jüngere Bruder Harald übernahm.

Vom Verleger Jakob Hegner wird immer wieder berichtet und auch das Festspielhaus findet ausführlich seinen Platz im Buch. Großen Raum nehmen „Die Künstlerkolonie“ und „Pilger und Enthusiasten der Gartenstadt“ ein. Die Monografie gibt Antworten auf Fragen, die so lauten könnten: „Wie kam es dazu, dass Künstler in Hellerau siedelten, z.B. Georg von Mendelssohn, Jakob Hegner, Emil Strauß, Emile Jaques-Dalcroze, Edith Benn und Theodor Däubler? Was veranlasste sie, dort ihr Können zur Verfügung zu stellen, literarische Salons zu betreiben und sich gegenseitig künstlerisch zu beeinflussen?
Das Buch von Hans-Jürgen Sarfert ist übersichtlich gegliedert; es umfasst 15 Kapitel. Fotos und Illustrationen lockern den Text auf. Im EPILOG, vom Herausgeber des Bandes, Walter Schmitz verfasst, wird Hellerau im neuen Jahrhundert und in der Gegenwart beschrieben. Ergänzt wird das über 170 Seiten umfassende Werk durch biografische Anmerkungen zum Autor; außerdem wird es durch ein Personenregister erschlossen.
Für alle diejenigen, die Hellerau kulturgeschichtlich entdecken und durchwandern wollen, die am Leben von bekannten und weniger bekannten Künstlern interessiert sind, ist die Lektüre dieses Buches von Hans-Jürgen Sarfert sehr zu empfehlen.



Fotos: Bernd Frauenstein
Weitere Links zum Thema:
- Auf den Spuren des Architekten Richard Riemerschmid
- Das GebäudeEnsemble Deutsche Werkstätten Hellerau
Hans-Jürgen Sarfert – Kurzbiografie

Hans-Jürgen Sarfert wurde am 30.04.1944 in Freital bei Dresden geboren. Von 1960 bis 1963 absolvierte er eine Ausbildung zum Holzmodellbauer. In diesem Beruf arbeitete er drei Jahre lang. Ein Studium der Germanistik und Information/Dokumentation an der Humboldt-Universität folgte 1967 bis 1972. Weil er sich für Wolf Biermann einsetzte, wurde er vorzeitig exmatrikuliert. Nachdem er trotz allem seinen Abschluss als Diplom-Germanist und Informator erlangt hatte, arbeitete er als Fachreferent für regionale Literatur- und Kulturgeschichte an der Sächsischen Landesbibliothek, bzw. Sächsischen Landes- Staats- und Universitätsbibliothek (SLUB) Dresden bis 2007.
Hans-Jürgen Sarfert veröffentlichte zahlreiche Artikel in der „Union“ zu Schriftstellern und ihre Beziehungen zu Dresden. In der Reihe „Kursächsische Wanderungen“ des Hellerau-Verlages erschienen von ihm „Literarische Wanderung durch den Plauenschen Grund“ (2001); „Novalis in Dresden“ 2002 und „Friedrich Nietzsche und Dresden“ 2007.
Mehr und mehr beschäftigte er sich mit der Gartenstadt Hellerau. In den 1970er Jahren spazierte er durch den Ort, befragte Bewohner und Zeitzeugen. Ihm ist es zu verdanken – so die ehemalige Leiterin des Buchmuseums, Frau Nitzschke – dass Peter de Mendelssohn 1974 nach Hellerau, den Ort seiner Kindheit, zurückkehrte. Auch wenn er sich nur wenige Stunden aufhielt: ein umfangreicher Briefwechsel zwischen Sarfert und de Mendelssohn blieb bestehen.
Hans-Jürgen Sarfert verehrte Franz Kafka. Er nahm Einsicht in dessen Tagebuch. Auf den Tag genau konnte er Kafkas Aufenthalt in Hellerau bestimmen; er hielt fest, mit wem sich Kafka traf und was er besichtigte. Hans-Jürgen Sarfert investierte viel Geld, um einen handgeschriebenen Briefumschlag von Kafka zu erwerben.
Darüber hinaus galt Sarferts Interesse jungen Gegenwartsautoren. Als noch niemand an Kurt Drawert glaubte, sah er in ihn den zukünftigen Schriftsteller. Durs Grünbein erhielt von Sarfert manch wertvollen Hinweis für sein Buch „Die Jahre im Zoo.“
Wegen seiner umfassenden Kenntnisse und großen Hilfsbereitschaft wurde Hans-Jürgen Sarfert im Kollegenkreis und in Fachgremien geschätzt. Bereitwillig gab er sein Wissen weiter.
Während meiner Auskunftstätigkeit am Informationspunkt 2 der SLUB hatte ich so manches Mal Gelegenheit, mich mit ihm zu unterhalten. Die Gespräche sind mir seiner freundlichen und zurückhaltenden Art wegen in angenehmer Erinnerung.
Petra Metzelthin
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
petrametzelthin (18. Februar 2024). „Ja, die passen zueinander, die Häuser und die Menschen.“ (Richard Riemerschmid). SLUB TextLab. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/vv0i